Sahra Wagenknecht: „Ich halte die Brandmauer für eine undemokratische Dummheit“

Will das BSW in Zukunft wirklich eine stärkere Zusammenarbeit mit der AfD? Ein Gespräch mit der Parteichefin Sahra Wagenknecht.
In den vergangenen Wochen gab es einen medialen Wirbel, nachdem vermeldet wurde, dass es zu Treffen zwischen den Spitzen der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) kam. Unser Reporter hat aus diesem Anlass Sahra Wagenknecht, die Gründerin und Parteichefin des BSW, zum Interview geladen.
Frau Wagenknecht, „AfD und BSW nähern sich an“ war dieser Tage auf T-Online zu lesen, von einer neuen Machtoption war sogar die Rede.Eine von vielen Schlagzeilen dieser Art.
Bahnt sich denn hier wirklich eine grundlegende strategische Neuausrichtung Ihrer Partei gegenüber der AfD an?
Sie haben recht, unglaubliche Aufregung im Blätterwald. Das Niveau der sogenannten Qualitätsmedien in Deutschland sinkt immer tiefer, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Was ist wirklich geschehen? Tino Chrupalla sagte öffentlich, dass er mit mir reden würde. Bild meldet daraufhin, es gebe Gespräche auf Bundesebene zwischen beiden Parteien. Diverse Medien greifen die angebliche Info auf und berichten: Annäherung von AfD und BSW, es bahne sich eine Zusammenarbeit an. Niemand hat bei mir auch nur nachgefragt. Also: Es gibt auf Bundesebene aktuell keine Gespräche, und es bahnt sich auch keine Annäherung an, aber es bleibt dabei, dass wir uns politisch mit der AfD auseinandersetzen und Redeverbote oder gar den Ruf nach einem Parteiverbot grundsätzlich ablehnen.
Sie hatten allerdings die Debatte selbst in Gang gebracht nach der Klausurtagung Ihrer Partei in Berlin, als Sie der CDU geraten hatten, die Brandmauer gegenüber der AfD einzureißen. In Erfurt, beim Besuch der BSW-Fraktion im dortigen Landtag, nahmen Sie das Thema wieder auf.
Natürlich, das sage ich ja auch nicht erst seit gestern: Ich halte die Brandmauer für eine undemokratische Dummheit, die zur Radikalisierung und zur aktuellen Stärke der AfD beigetragen hat. Es ist das große Versagen der CDU, dass sie die AfD nicht schon in eine Landesregierung eingebunden hat, als sie noch eine konservative Professorenpartei war. Es gibt nachweislich die größten programmatischen Schnittmengen zwischen CDU und AfD und nicht zwischen BSW und AfD. Natürlich entscheidet die CDU, mit wem sie koaliert. Wir können nur für uns sagen: Wir werden uns nicht mehr an profillosen Allparteien-Koalitionen beteiligen, deren einziger gemeinsamer Nenner es ist, die AfD von der Macht fernzuhalten. Die AfD einzubinden, ist allerdings nicht unsere Aufgabe.
Könnten Sie diesen Satz bitte noch einmal konkretisieren? Wieso wäre das nicht Aufgabe des BSW?
Es wäre Aufgabe der Parteien, die die AfD mit ihrer schlechten Politik stark gemacht haben. Es gibt zwei Wege, die AfD wieder kleiner zu machen. Entweder man macht endlich einmal gute Politik für die Bürger. Dafür gibt es in den alten Parteien nicht den geringsten Willen, wie man ja auch an der Merz-Regierung sieht. Oder man macht schlechte Politik gemeinsam mit der AfD. Dass der Faschismus ausbricht, wenn die AfD in eine Landesregierung unter der CDU eintritt, ist eine von SPD und Grünen gepflegte Legende, mit der sie sich trotz schlechter Wahlergebnisse an der Macht halten. In einer Koalition müsste die AfD beweisen, was sie kann, und die Bürger könnten besser beurteilen, ob es ihnen wirklich nützt. Ich bezweifle das.
Stattdessen wurde das BSW in die Landesregierungen geholt, zumindest in Brandenburg und Thüringen.
Ja, und das hat uns in ein echtes Dilemma gebracht. Einerseits haben wir uns über unsere guten Wahlergebnisse natürlich gefreut, und die meisten Wähler erwarten dann auch, dass man sich einer Regierungsverantwortung nicht verweigert. Zugleich waren wir auf Koalitionsverhandlungen kaum vorbereitet und konnten es auch nicht sein. Das war ein echtes Problem. Unsere Wähler haben Veränderung gewählt. Wir sind in Koalitionen mit Parteien eingetreten, die im Grunde keine Veränderung wollen.
Was Sie rückblickend als strategischen Fehler ansehen?
Wir hatten keine Chance, die Koalitionsverhandlungen wirklich solide vorzubereiten. Unsere Partei war ja gerade erst ein Dreivierteljahr alt, wir waren vorher nicht im Landtag, hatten keine Referenten und keinen Apparat wie die anderen Parteien. Gerade in Thüringen war der Start daher ziemlich missglückt und hat viele Wähler enttäuscht. Das heißt nicht, dass wir nichts erreicht hätten. In beiden Ländern haben unsere Finanzminister Kürzungen bei Gesundheit oder bei den Städten und Gemeinden verhindert und sogar zusätzliche Spielräume im Haushalt geschaffen. Aber als grundlegende, spürbare Verbesserung kommt so etwas halt zunächst nicht beim Bürger an.
Was waren denn konkrete Fehler Ihrer Partei? Bleiben wir vielleicht beim Beispiel der Regierungsbeteiligung in Erfurt.
In Thüringen haben wir schon bei der Konstituierung des Landtages das Spiel mitgespielt, dass es einen angeblichen Block der demokratischen Parteien gibt und auf der anderen Seite steht allein die AfD. Aber mit einer Partei wie der CDU, die unser Land militarisiert, eine wahnwitzige Aufrüstung vorantreibt und real die Kriegsgefahr für Deutschland erhöht, gehören wir nicht in einen Block. Und natürlich stellt sich die Frage: Wie demokratisch sind Parteien, die die Meinungsfreiheit einschränken und regierungskritischen Bürgern die Polizei ins Haus schicken? Wir haben es so der AfD leicht gemacht, uns als Teil eines Altparteienkartells zu schmähen.
Was haben Sie denn persönlich daraus für Schlüsse gezogen?
Die Menschen wollen natürlich, wenn sie uns wählen, dass sich spürbar etwas verändert. Leute, die gut finden, wie alles läuft, wählen uns nicht. Wir dürfen in Zukunft nur noch dann in eine Koalition eintreten, wenn wir diese Erwartung tatsächlich erfüllen können.
Ihre Partei, Frau Wagenknecht, hat durch diese Beteiligungen in der Wählergunst Verluste eingefahren. Würde dies auch der AfD blühen, wenn sie an einer Landesregierung beteiligt wäre?
Ja, natürlich. Auch die AfD wird in einer Koalition mit der CDU, zumal wenn sie der kleinere Koalitionspartner ist, wenig verändern und teilweise eher Verschlechterungen durchsetzen. Da die AfD die Neuverschuldung radikal reduzieren will, auf Landesebene aber wenig Spielräume sind, unsinnige Ausgaben zu streichen, wird sie schmerzhafte Einschnitte vertreten müssen. Dass man der AfD bisher erspart, dass die Menschen sie in Regierungen erleben, ist ein wesentlicher Grund für ihren steten Aufstieg. Wenn die CDU nicht zur Besinnung kommt, wird es im Osten bald den ersten Landtag geben, in dem die AfD ohne Koalitionspartner regieren kann.
In der AfD selbst sorgt die Debatte um das außen- und verteidigungspolitische Profil der Partei für Unruhe. Sehen Sie dadurch auch Chancen für Ihre Partei, neue Wähler zu gewinnen, wenn sich die AfD zu einer bundesweiten CSU entwickeln sollte, streng transatlantisch und russlandkritisch?Dass die AfD keine wirkliche Friedenspartei ist, hat sich schon länger abgezeichnet. Alice Weidel war eine der Ersten in Deutschland, die das Trump-Diktat, fünf Prozent der Wirtschaftsleistung in Aufrüstung zu stecken, öffentlich unterstützt haben. Allerdings erleben wir aktuell eine Art Melonisierung der AfD: Wie die Italienerin Meloni orientiert sie sich stark transatlantisch und an den USA. Wenn Trump Bomben auf den Iran wirft, gibt es von der AfD kein kritisches Wort. Auch Waffenlieferungen an Israel werden trotz der furchtbaren Kriegsverbrechen in Gaza von der AfD mehrheitlich befürwortet. Lediglich in der Ukrainepolitik weicht sie – wie Trump – von der CDU ab und befürwortet eine Verhandlungslösung und einen Stopp der Waffenlieferungen. Aber sollte Trump sich hier anders orientieren, dürfte es auch damit vorbei sein. Vor allem im Osten wird die AfD bisher vor allem auch als vermeintliche Friedenspartei gewählt. Wir werden sehen, wie es sich auswirkt, wenn die Menschen erkennen, dass die AfD nur die nächste transatlantische Altpartei ist, die ihre Richtlinien aus Washington bekommt.
Vielen Dank für das Gespräch.
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Berliner-zeitung